Und plötzlich war es still. Nach drei Monaten Getose und Gehupe, Geschrei und Menschenmassen in Indien, waren wir an einen Ort der Ruhe gekommen. Nur Natur. Genau das Richtige, um die Seele wieder aufatmen zu lassen und die Lungen mit frischem Sauerstoff zu füllen. So war unser erster Eindruck von Kirgistan.
Wenige wissen, welch schöne Landschaften hier auf ihre Entdeckung warten. Genau genommen war das einer der Hauptgründe, um überhaupt hierher zu kommen. Wir kannten fast keine Leute, die zuvor schon da waren. So hofften wir, abseits der bekannten Pfade, besondere Abenteuer zu erleben. Wir wurden nicht enttäuscht. Die Umstände, die durch fehlende Infrastruktur und Informationen entstanden, wurden dafür durch unberührte Landschaften entlohnt und dazu kam, dass eben diese „Umstände“ Teil des Abenteuers waren. Wir kauften uns ein Auto (dazu eigener Blog!) und bauten hinten eine Matratze ein. So waren wir perfekt ausgestattet und mobil, was in diesen Breitengraden wirklich notwendig war.
Eine Email erreichte uns völlig überraschend, gleich, nachdem wir in Bishkek gelandet waren. Wir wurden darin eingeladen, einen Vortrag über unsere Reise zu halten, im Rahmen der Tourismusförderung in Kirgistan. Über das Interesse freuten wir uns sehr und gaben unser Bestes. Beim Vortrag dann lernten wir Aibek kennen, der uns zur „Farm“ in Rotfront (einer deutschen Siedlung!) einlud, einem sozialen Projekt. Die Farm wird von einem kanadischen Ehepaar – John und Julie – geführt. Junge Erwachsene, die in Kinderheimen aufgewachsen waren, aber dafür nun zu alt sind, werden dort aufgenommen. Man zeigt ihnen, wie man einen Haushalt führt, auf dem Feld und mit Tieren arbeitet, das eigene Gemüse auf den Märkten verkauft und sich sozial „richtig“ verhält. Die Kids bekommen Englisch Unterricht und die Möglichkeit selbst gewählte Ausbildungen zu verwirklichen. Sie werden zu medizinischen check-ups geschickt und, vielleicht das Wichtigste, sie bekommen ein familiäres Umfeld und Leute, auf die sie sich verlassen können. Die zahlreichen Projekte, die John und Julie zudem unterstützen haben uns sehr erstaunt.
Josef und ich halfen einige Wochen auf der Farm mit und hatten mit den Jugendlichen viel Spaß, obwohl wir uns zum Teil nur mit Händen und Füßen verständigen konnten. Josef zeigte einem der Jugendlichen wie man mit Holz arbeiten kann und dieser erwies sich als sehr interessiert und auch geschickt. Später erfuhren wir, dass er die Aufnahmeprüfung an eine Universität geschafft hatte und nun studiert. Eine kleine Sensation! Ich half in der Küche und auf dem Feld mit und betreute auch touristische Gäste, die immer wieder kamen. Es war eine schöne Zeit für uns, denn das viele Reisen erweckt den Wunsch, auch mal für längere Zeit an einem Ort zu bleiben und ja, man glaubt es kaum – auch zu arbeiten. Sollte jemand nach einem sozialen Projekt suchen, das er oder sie unterstützen möchte, dieses können wir aus eigener Erfahrung empfehlen. Hier ist ihre Homepage: https://actofkindness.blogspot.de/
Als wir uns von der Farm auf den Weg machten, waren wir zu Freunden geworden, und wir hatten Freunde gewonnen. Es war sehr rührend und wir fühlten uns mit einem Land auf eine besondere Art verbunden, mehr als mit anderen Ländern zuvor. Zuerst ging es nun von Rotfront Richtung Song Köl See. Es war noch früh im Jahr und der Bergsee war nur von einer Seite aus erreichbar, denn die anderen Zufahrtstraßen waren durch schneebedeckte Bergpässe unpassierbar. Auf dem Weg trafen wir auf Hirten, die mit ihren Schafen, Kühen und Pferden ebenfalls auf dem Weg zum See waren, wo sie den Sommer verbringen wollten. Uralte LKW bahnten sich den Weg nach oben, voll beladen mit Jurten, die oben aufgebaut wurden. Wir hielten, um uns mit den Einheimischen zu unterhalten, und durften prompt auf eines ihrer wertvollen Pferde steigen und reiten. Das war ein Spaß! Die Tiere waren nach dem langen Winter noch ziemlich abgemagert. Im Laufe des Sommers würden sie immer weiter zunehmen um sich für den nächsten Winter zu wappnen.

Als wir nach zwei Tagen endlich am Song Köl ankamen, empfing uns eine ganz besondere, friedliche Stimmung. Nebel hing über dem See und die wenigen Jurten, die schon aufgebaut waren vervollständigten das Bild von einem unbefleckten Paradies. Die Stille war vollkommen. Pferde weideten auf den unendlichen Grasfeldern, ohne Zaun und Begrenzung. Nachts wurde es so kalt, dass uns die Scheiben innen im Auto einfroren, dafür aber war der Sternenhimmel so klar, dass wir sicher waren, die Erde verlassen zu haben.
Vom Song Köl fuhren wir schließlich wieder zurück und weiter nach Süden zur alten Karawanserei „Tash Rabat“. Die alten Gemäuer aus dem 15.Jahrhundert erwecken die Fantasie und zeigen ein Stück der Geschichte der Seidenstraße. Hier kamen die Händler auf ihrem Weg von oder nach China vorbei.
Um nicht denselben Weg wieder zurückzufahren, wollten wir einen kleinen Umweg einlegen. Wir suchten uns also einfach eine Schlaufe auf der Landkarte und bogen nach links von der Straße ab. Ein Feldweg führte uns durch sagenhafte Landschaften, bis wir schließlich auf dem Gipfel eines Berges ein unendlich weites Tal vor uns hatten. Buchstäblich verschlug es uns hier die Sprache. In keinem Reiseführer war dieser Ort erwähnt und dennoch zählt er zu den eindrücklichsten Erinnerungen unserer ganzen Reise. Für diesen Anblick waren wir hergekommen!