Ich bin mal wieder Wochen hinterher mit meinem Reisebericht. Wir sind inzwischen schon in Kirgistan, aber die zwei Monate in Indien will ich nicht vorenthalten. Obwohl wir vor Indien schon 6 Monate unterwegs waren, wurde das Land zu einer Herausforderung. Eine Kultur, die noch unterschiedlicher ist zur Unseren, glaub ich gibt es nicht. Ich hatte mir ja schon gedacht, dass es krass bunt wird, aber ich hätte mir beim besten Willen nicht vorstellen können, wie es wirklich wird da zu sein.

Die ersten Tage habe ich mich sogar ziemlich unwohl gefühlt. Die Inder sind oft sehr distanzlos und sie glotzen einen ständig an. Alle. Die ganze Zeit über. Und sie hören nicht auf damit. Wenn man dann hinguckt, schauen sie trotzdem weiter. Unheimlich. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran, auch wenn es Tage gibt, wo es einen wieder tierisch nervt, vor allem wenn man müde ist. Und müde waren wir beim Ankommen in Kalkutta auch. Und dann erlebt man eine 360 Grad Reizüberflutung. Es riecht nach allem Möglichen (Gewürze, Essen, Räucherstäbchen, Parfüm, Scheiße und Urin, Benzin und Abgase, Rauch von Feuer, Staub usw.) ich wusste gar nicht, was meine Nase alles riechen kann. Gleichzeitig sieht man gefühlt eine Million Menschen auf der Straße, und alle sind mit irgendetwas beschäftigt, es kommt einem vor wie ein gut organisiertes Filmset mit lauter Statisten, hunderten, und wo das Auge nur hinblickt, spielt sich eine Szene ab.

Die Leute hier sind im letzten Jahrhundert stecken geblieben, zumindest in Kalkutta. Kein Wunder, dass Mutter Theresa hier geblieben ist, die Armut ist unfassbar. Noch nie habe ich so viele Bettler, Kranke, Obdachlose, Waisenkinder, verwahrloste Hunde und andere Tiere (Kühe!) gesehen. Man muss tapfer sein, und eine harte Schale nach außen hin aufbauen, aber manchmal kullert dann doch eine Träne heraus und man will schreien, wie ungerecht doch die Welt ist. Was haben wir für ein Glück, in Europa geboren worden zu sein! Aber ich schweife ab. Die Reizüberflutung. Nunja, zu dem optischen Eindruck mit den fremdartigen, bunten Kleidungen und dunkelhäutigen Menschen und Rikschas und Holzkarren, auf denen sie ihre Ware verkaufen, kommen eine Million Fahrzeuge hinzu und alle hupen. Man kann sich das nicht vorstellen. Sie hupen einfach nur idiotisch in der Gegend rum. Überall sonst in anderen Ländern haben sie auch voll viel gehupt, aber das hatte den Sinn, dass man auf sich aufmerksam macht. Aber hier ist es ein aggressives „Aus dem Weg“ hupen, und die Hupen sind nervtötend laut und sie hören nicht auf damit. 24 Stunden lang nicht. Nicht ein einziger Verkehrsteilnehmer, der NICHT im 5 Sekunden Takt hupt! Unglaublich. Dann quetscht man sich durch die völlig überfüllten Straßen und ist am Ende des Tages einfach nur am Ende.

Zum Glück waren wir mit Didi und seinem Kumpel Steve unterwegs, die wir von zu Hause kennen. Das war dann gut, weil man doch etwas im Schutz der Gruppe unterwegs ist. Wir sind nach Varanasi gefahren. Der Zugverkehr ist ziemlich gut hier. Die Züge sind kilometerlang. Es fahren täglich 17-20 Millionen Menschen mit dem Zug in Indien. Täglich!!! Man kommt eigentlich überall sehr gut hin mit dem Zug. Klar, die Züge sind ziemlich ekelig und schrottig (wahrscheinlich noch nicht mal arg alt, aber halt einfach in einer indisch schlechten Qualität gebaut), aber wenn man die schiere Masse bedenkt, die da jeden Tag bewegt wird, ist das schon eine logistische Meisterleistung. Ok, einmal hatten wir 11 Stunden Verspätung und mussten auf dem noch ekeligeren Bahnhofsboden übernachten, wo über unseren Köpfen die Lautsprecher ununterbrochen berichteten, wo der nächste Zug abfährt. Aber sonst klappte das sehr gut. Überhaupt ist das Zugfahren ein eigenes Abenteuer, das man in Indien nicht auslassen darf. Da es sehr günstig ist, können sich fast alle Inder Zugfahrkarten leisten und so eignet sich das Zugfahren besonders für den kulturellen Austausch. Besonders praktisch fanden wir die Snack-Verkäufer. Sie drängeln und schieben sich durch die ohnehin schon überfüllten Abteile und schreien aus vollem Halse ihre Angebote „Chaaiiii, Chaaiiii!“ (=Tee), „Paaanibottel!“ (=Wasserflasche). Man ist wirklich gut versorgt, selbst wenn die Zugfahrt über 24 Stunden dauert, und das tut sie manchmal.

Ah noch etwas. Man glaubt es nicht, aber die Deutschen werden von den Indern in Sachen Bürokratie übertroffen! Das betrifft die Zugticket-reservierung, das Hoteleinchecken und alle möglichen Regeln, die es zu befolgen gibt, weil es „eben so ist“. Wenn es nicht zum Heulen wäre, könnte man wirklich darüber lachen!! Einmal haben wir fürs Einchecken im Hotel in Kalkutta über eine halbe Stunde gebraucht und sie wollten sogar Fotos von uns machen und haben die Namen unserer Väter notiert!

Aber zurück zum Zug. Wir fuhren also nach Varanasi. Das ist eine heilige Stadt am Ganges, die für die Leichenverbrennungen bekannt ist, und dafür, dass die Leute daneben im Wasser baden und manche sogar davon trinken. Die Stadt ist auch sehr sehr alt und ursprünglich und hat uns sehr gut gefallen. Es gibt eine ganze Festungsanlage am Ganges, da können nur Fußgänger hin, was sehr schön ist. Nach innen hin zieht sich die Altstadt mit ganz engen Gassen, da ist also auch noch kein Verkehr, der kommt erst noch weiter innen. Man kann viele Sadus herumlaufen sehen, dass sind religiöse Männer mit weißen Bärten und orangem Gewand. Die Beten und meditieren und dürfen kein Geld besitzen oder verdienen. Sind aber dann trotzdem immer um eine Spende froh. In Varanasi hatten wir ein unvergessliches Erlebnis. Wir bestellten ein „Bhang Lassi“ also ein Jogurt mit Hanf drin. Die gibts ganz offiziell in den Lassi Geschäften zu kaufen. Wir hatten ja keine Ahnung, auf was wir uns da eingelassen hatten, aber es wurde noch sehr abenteuerlich und wen es interessiert, dem können wir gerne mal persönlich Bericht erstatten 😉 Zusammengefasst kann man sagen, Indien ist der schlimmste und gleichzeitig auch der beste Ort ist für so eine Erfahrung.

Nach Varanasi sind wir in den Norden nach Darjeeling gefahren. Die Leute sind schon entspannter dort und starren nicht dauernd. Vom Aussehen her erinnern sie auch eher an Nepalesen. Angeblich sieht man von Darjeeling aus den Mount Everest und den Kanschenzonga (den 3.höchsten Berg der Welt), aber bei uns wars leider nebelig und voll kalt. Die Landschaft ist aber sehr sehenswert, wir machten auch eine 2-Tages Wanderung mit Hüttenübernachtung.

Nach Darjeeling ging es zurück nach Kalkutta, weil Didi und Steve wieder heimfliegen mussten. Zu der Zeit war dann auch noch das Holi-Festival, das Indien nochmal bunter macht. Zu dem Anlass kaufen sich die Inder Säcke voller Farbpulver, die dann in Straßenschlachten durch die Luft wirbeln und auf Gesicht und Klamotten landen. Es war echt cool mit den ganzen Farben. Als Touri bekommt man es natürlich voll ab und am Ende des Tages hat nichts mehr seine originale Farbe. Wir zogen auch relativ früh los (so gegen 9 Uhr morgens) und machten uns schon Mittags auf den Heimweg, weil es uns irgendwann doch zu bunt wurde. Josef zog dann noch alleine mit seiner Kamera weiter und meinte aber, dass die Leute immer distanzloser wurden, vor allem mit steigendem Alkohol-Pegel. Insgesamt war es aber ein unvergessliches Erlebnis.

Nachdem Didi und Steve wieder zurückgeflogen waren, sind wir zu zweit nach Puri gefahren, das ist ein kleiner Urlaubsort für indische Hochzeitsreisende. Ich weiß auch nicht was wir erwartet hatten, aber den Strand konnte man natürlich vergessen. Am ersten Tag gingen wir runter und sahen all die Leute im Wasser baden. Dann gingen wir am Stand entlang und nach ein paar Metern sahen wir drei nackte Ärsche. Die gehörten 3 Indern, die sich unterhielten und währenddessen auf den Strand kackten. Jeder hatte schon einen braunen Haufen unter sich liegen. Direkt am Wasser. Und dann sahen wir, dass sie nicht die einzigen waren. Es war sooo ekelig, also gingen wir natürlich auch nicht baden. Ansonsten war die Stadt aber ziemlich süß und wir genossen es durch alte, bunte Nachbarschaften zu laufen.

Weiter ging es nach Puri ins Landesinnere zu den Ellora Caves und den Ajanta Caves, die sind sooo schön. Das sind Tempel, die aus Felswänden gehauen wurden, vor etwa 2000 Jahren. Das ist das Besondere: sie wurden nicht erbaut sondern aus den Felsen herausgeschlagen. Die Höhlentempel sind unglaublich, in vielen erkennt man noch Farben und Malereien und ganze Hallen mit Buddha-Statuen. Besonders die Ellora Caves sind unglaublich schön!

Danach fuhren wir nach Orchha, einer kleinen Stadt mit ganz vielen uralten Tempeln. Ein Indien, wie man es sich vorstellt, mit den Spitzbögen und so. Es war voll heiß – tagsüber konnte man gar nicht raus, bei 42 Grad und trocken. Morgens und Abends konnte man aber viel unternehmen und das Tolle war, dass Orccha nicht so arg touristisch war und oft hatten wir ganze Tempelanlagen für uns alleine.

Umso touristischer wurden unsere nächsten Ziele, vor allem Agra mit seinem Taj Mahal. Der „schönste Grabstein der Welt“ war schon lange ein Traumziel von mir gewesen und obwohl man sich innerhalb der Anlage eher wie in Europa vorkam (was an den ganzen Touristen lag) war es ein lohnenswertes Ziel. Man kann sich einfach drin verlieren, in der Schönheit dieses schneeweißen Gebäudes. Von Agra ging es weiter nach Rajastan durch die Städte Dausa, Jaipur, Jodhpur und Jaisalmer. Je westlicher sie lagen, umso wüstenartiger wurde es um sie herum. Die Städte haben jeweils eine charakteristische Farbe (blau, rosa, gelb) und alte Festungen. Schmale Gassen mit vielen, vielen Menschen drin und zahlreiche kleine Läden (Schals, Saris, Schmuck, Gemüse, Saft) und dazu eine abartige Hitze. April ist eigentlich schon zu heiß für Rajastan. Trotzdem ließen wir uns in Jaisalmer (der westlichsten Stadt, die schon an die Wüste und an Pakistan grenzt) nicht von der Idee abbringen eine Kamel-Safari zu machen. Um 8 Uhr morgens ging es los, jeder auf seinem eigenen Kamel und zwei Kamelführern voraus. Bis um 10 Uhr schafften wir es uns auf den Kamelen zu halten, bevor wir in den Schatten eines großen Baumes flüchteten und dort den ganzen Tag verbrachten. Es hatte 46 Grad und das fühlte sich so an, als würde einen jemand mit einem riesigen Fön auf höchster Stufe anblasen. Es war aber trotzdem echt toll, so mitten in der Wüste. Wir wurden bekocht, auf einem kleinen Lagerfeuer mit selbstgemachten Fladen und Gemüse, dazu Chai mit frischer Milch. Um 5 Uhr Abends ging es dann doch noch weiter, vorbei an einer kleinen Wüstensiedlung mit einem Brunnen, von dem Frauen mit bunten Saris Wasserkrüge davontrugen. Wir übernachteten in den Sanddünen und der Sonnenaufgang wurde zum Spektakel. Nach zwei Tagen Kamelreiten tut einem der Hintern weh und wir waren froh wieder absitzen zu dürfen.

Von der Hitze der Wüste ging es für uns Richtung Norden, in den indischen Teil des Himalaya. Bevor wir mit dem Bus in die Berge fuhren, machten wir noch einen kleinen Abstecher nach Chandigarh, einer vom berühmten Schweizer Architekten Le Corbusier geplanten Stadt. Sie war völlig unindisch, mit weiten Straßen und Alleen und angenehm wenig Lärm. Ein paar architektonische Highlights haben wir dort angeschaut und danach ging es wie gesagt in die Berge. Indien ist ja so facettenreich! Die Berge sind fantastisch schön. Wir blieben ein paar Tage in der touristischen Stadt Manali und gingen dann zusammen mit Einheimischen zu Fuß über einen Bergpass (zu der Zeit für Autos noch unpassierbar). Dahinter erwartete uns ein von der Außenwelt völlig abgeschottetes Tal mit Einwohnern, die jedes Jahr dem kalten Winter trotzen und ein Leben führen wie vor 100 Jahren. Wir machten Wanderungen und fuhren mit Seilbahn-Körben über Flüsse und hatten eine unvergessliche Woche.

Nach über zwei Monaten Indien waren wir reif für den Abschied. Es hatte sich eine intensive Hass-Liebe entwickelt für dieses Land und Delhi zeigte sich nochmal von der ganz typischen quirligen, überfüllten, bunten, verrückten Seite. Ein endloses Gewusel von schwer beschäftigten Menschen wohin das Auge nur blickt.

 

Ich genoss Indien einerseits, andererseits war es aber auch schwer für mich, eine Kultur zu akzeptieren, die ihre Frauen dermaßen unterdrückt. Das ist ein ganz eigenes Kapitel. Nicht mal in den muslimischen Ländern werden Frauen dermaßen unterdrückt wie dort. Die Vorurteile stimmen. Die haben dort nichts zu melden. Täglich werden Frauen von Familienmitgliedern, oft Vätern oder Ehemännern verbrannt. Aus Eifersucht, oder sonstigen niederen Gründen. Häusliche Gewalt, Vergewaltigungen. In Indien gehört es in fast jeder Familie zum Alltag. Es ist so erschreckend, man sieht es sogar auf der offenen Straße, aber hinter den geschlossenen Türen fängt das Martyrium erst an. Jeder, mit dem ich rede, der in Indien mehr Zeit verbracht hat bestätigt das und die Medien und Statistiken sprechen für sich. In der kurzen Zeit in der wir dort waren, hat mir jemand voll in den Schritt gefasst, obwohl „meine“ 3 Männer danebenstanden, einer hat mir auf den Busen gegrapscht, ein anderer das selbe, während ich im Zug schlief. Viele rückten ganz nah an mich heran und berührten meinen Arm und meine Beine, die Hemmschwelle und die Distanz ist ganz gering. Josef und ich waren „offiziell“ verheiratet, sonst wäre es gar nicht gegangen. Das muss auch gesagt werden. Ich war oft richtig wütend. Als Touristin wurde ich noch richtig gut behandelt, mit Respekt. Und dennoch erfuhr ich Übergriffe. Ich will gar nicht wissen, wie es den Einheimischen Frauen geht. Es ist zum Kotzen! Das ist Indien nämlich auch. Neben all den schönen prächtigen Farben, ist es doch ein Land, das sehr rückschrittlich ist.

Natürlich war es trotz allem eine sehr interessante und spannende Zeit. Wenn ich die Fotos der letzten Wochen anschaue, erkenne ich wie viel Wert eine solche Erfahrung ist und dass ich mich glücklich schätzen darf. Wir passen schon auf uns auf.